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Aus der Sicht und mit den Worten von ...
Kim Müller, Fachanwalt für Strafrecht


Kleine Einblicke, was sich manchmal alles hinter den Kulissen so abspielt.

Richtertypen und der Umgang mit ihnen (1) – Der Rapper-Richter

Im Rahmen einer Strafverteidiger-Tätigkeit kommen Sie im Laufe der Zeit mit einer Vielzahl von Richter-Typen in Kontakt.

Während die meisten Richter verschiedene Wesenszüge in sich vereinen, kristallisieren sich vereinzelt sog. Archetypen heraus, die quasi ein Charakter-Extrem darstellen.

Es ist pragmatisch und für einen positiven Prozessausgang (nicht nur im Strafrecht) ungemein förderlich, den Typus zu (er-)kennen und den Umgang mit ihnen zu beherrschen.

Teil 1: Der Rapper-Richter

Betrachtet man die verschiedenen Musikrichtungen und -stile, geht es inhaltlich (zu veränderlichen Anteilen) eigentlich immer um die folgenden Themen: Liebe, Trennung, Herzschmerz und Gefühle. Langweilig.

Ausnahme: Hiphop oder Rap. Konzentriert man sich auf die Texte, dann haben gefühlte 97% der Lieder nur ein Thema:
„Ich bin der Geilste !!!“

Entsprechend habe ich den nachfolgenden Richter-Typus als „Rapper-Richter“ kategorisiert.
Der Rapper-Richter zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:

  • Er hält sich für den Größten
  • Er hält gerne Monologe
  • Er mag nicht unterbrochen werden, und schon gar nicht mag er es, wenn das Gegenüber meint, mehr Ahnung zu haben als er selbst.
  • Er befindet sich meist im letzten Drittel seiner berufsrichterlichen Tätigkeit (mit entsprechendem Erfahrungsschatz) und ist vornehmlich in ländlichen Gegenden zu finden.
  • Rechtlich schöpft er fast ausschließlich aus dem Fundus zurückliegender Prozesse. Aktuelle Rechtsprechung wird höchstens noch am Rande verfolgt.

In meiner bisherigen Strafverteidigertätigkeit bin ich einem Rapper-Richter in Reinform bislang zweimal begegnet. Das letzte Mal vor Kurzem in einem ländlichen Berufungsgericht.

Der Fall:

Der Mandant war grob rechtsfehlerhaft von einem (ebenfalls ländlichen) Amtsgericht wegen eines leichten Sexualdelikts verurteilt worden. Ich war mit der Durchführung des Berufungsverfahrens beauftragt.

Nach der Verlesung des erstinstanzlichen Urteils wollte ich eigentlich auf „Attacke“ umschalten und vortragen, was mir am erstinstanzlichen Urteil nicht gefällt, als mich der Richter jäh unterbricht:

„Herr Müller, Sie kennen mich noch nicht, aber hier läuft das anders. Hier spricht nur einer, und das bin ich. Und ich spreche immer das Wort zum Wochentag. Mittwochs spreche ich das Wort zum Mittwoch, Freitags spreche ich das Wort zum Freitag. Heute ist Montag, da spreche ich das Wort zum Montag“.

Ah ja. Die StPO sieht irgendwie einen anderen Verfahrensablauf vor.

Aber: Im Umgang mit Rapper-Richtern hat sich die nachfolgende Verhaltensweise als äußerst effektiv erwiesen.

  1. Stellen Sie Ihr Ego zurück
  2. Stellen Sie Ihr Ego zurück ! Keine Widerworte, keine Belehrungen, keine Diskussionen.
  3. Lächeln Sie nett, und zeigen Sie, dass Sie die Autorität des Richters anerkennen („Da bin ich ja gespannt“ oder „Vielleicht lerne ich ja noch was“)
  4. Sehen Sie sich eher als Stichwortgeber.

In der Regel wird der Rapper-Richter Ihnen quasi als „Gegenleistung“ ein Ergebnis präsentieren, mit dem Sie bzw. Ihr Mandant sehr gut leben können.

So auch hier: Es folgte ein 10 minütiger Monolog mit veralteter Rechtsprechung von diversen Untergerichten (die längst durch ein BGH-Urteil überholt waren), über den Gesetzeszweck, darüber, dass die Tat ja nicht sonderlich schlimm war, bis hin zur Handlungsanweisung an die Staatsanwaltschaft, die als Befehl formuliert war: „Die Staatsanwaltschaft beantragt jetzt die Einstellung gegen eine empfindliche Geldauflage, dann passt das.“

Der Staatsanwalt, Typ Choleriker, der anscheinend auch das erste Mal vor diesem Richter verhandelt, und ganz offensichtlich nicht weiss, wie man mit dem Richtertypus umzugehen hat, macht alles falsch, was man hier falsch machen kann.

„Ich stelle hier gar nichts ein.“
„Es kann doch nicht angehen, dass…“
Und (größter Fehler): „Wenn Sie den nicht verurteilen, gehe ich in Revision.“

Ich muss grinsen und lehne mich zurück. Noch bevor wir in die Beweisaufnahme eintreten, teile ich dem Mandanten mit, dass ich hier keine Einstellung mehr erwarte, sondern einen Freispruch“.

Genauso kommt es. Der Richter mochte es gar nicht, dass seine Autorität vom Staatsanwalt angezweifelt wurde.
Im Rahmen der Beweisaufnahme lehnt er sämtliche Anträge der Staatsanwaltschaft ab, fällt dem Staatsanwalt bei Zeugenvernehmungen rüde ins Wort („Das hat der Zeuge schon beantwortet.“, „Das müssten Sie nicht nochmal fragen.“, „Passen Sie besser auf.“) und lässt auch sonst erkennen, dass er dem Anliegen der Staatsanwaltschaft wenig Sympathie schenkt.

Der Staatsanwalt plädiert dann auch recht verärgert; ich selbst beschränke mich darauf zu erwähnen, dass der Richter die Rechtslage ja schon ausführlich zusammengefasst hat, und dass die von ihm zitierte Rechtsprechung ja mittlerweile vom Bundesgerichtshof bestätigt sei.

Das Ergebnis war vorhersehbar: „Freispruch“.

Passt.

Es sei noch erwähnt, dass ich mir die Erkenntnis über den Rapper-Richter hart erkämpft habe: Stellen Sie mal frühmorgens in einem Kaff mehrere 100km von Ihrem Heimatort entfernt einen Befangenheitsantrag gegen einen solchen Richter.

Da kommt kein „neuer Termin von Amts wegen“, sondern der unterbricht für 5-6 Stunden die Hauptverhandlung und setzt dann am gleichen Tag fort. Seit diesem Termin habe ich immer etwas zu Lesen in meiner Aktentasche.