Richtertypen und der Umgang mit ihnen (3) – Der „zweite Staatsanwalt“
Ein weiterer Richtertyp, der sich herauskristallisiert hat, ist der „zweite Staatsanwalt“. In der Verhandlung zeichnet er sich dadurch aus, dass er in der Regel maximal täterbelastend agiert, sodass sowohl Anwalt als auch Angeklagter das Gefühl haben, nicht einem Richter, sondern einem zweiten Staatsanwalt gegenüberzusitzen.
Zumindest bei allen mir bekannten Zeitgenossen des vorgenannten Richtertyps ist der Richtertätigkeit immer eine langjährige berufliche Tätigkeit als Staatsanwalt vorausgegangen.
Bei neuen Richtern frage ich auch mal gerne die Protokollführerin, ob der oder die mal Staatsanwalt war. Meist bekomme ich ein heftiges Nicken und ein breites Grinsen.
Was treibt die an ?
Böse Zungen könnten behaupten, den Staatsanwält*Innen (es gibt auch Richterinnen dieser Kategorie) wären die Urteile der Gerichte zu lasch gewesen, so dass sie es selbst besser machen wollen. Tatsächlich stehen hinter diesem Perspektivwechsel zumindest teilweise auch absolut ehrbare Motive, weshalb ich auf diesem Richtertyp gar nicht so viel rumhacken will.
Was macht den „Staatsanwaltsrichter“ aus ?
Neben der Tatsache, dass es eine Tendenz gibt, alles zu glauben, was den Täter belastet, und überhaupt nichts zu glauben, was den Täter entlastet (Schutzbehauptung, Erfindung der Verteidigung), besteht eine heftige Neigung zu völlig überzogenen Strafen.
Rechtsanwälte (mit Ausnahme der reinen Verurteilungsbegleiter) mögen die meist auch nicht so gerne. Da gibt’s dann schonmal eine Eingabe an die Rechtsanwaltskammer, Terminsverlegungsanträge werden kritisch gesehen, oder der Anwalt darf für eine Akteneinsicht 6 Wochen vor dem Termin schonmal nach Aurich fahren, 80 km einfache Strecke, weil die Post im November ja aufgrund der Weihnachtszeit es nicht schaffen könnte, eine blöde Akte hin- und herzutransportieren.
StPO-Regeln zugunsten der Angeklagten werden auch kritisch gesehen: Manche Richter wenden einzelne Rechtsinstrumente überhaupt nicht an:
- „Herr Müller, Deals gibt es bei mir grundsätzlich nicht.“ OK, kann ich nachvollziehen, ist ja sehr revisionsträchtig, wenn man die Vorschriften nicht richtig kennt oder anwendet.
- „Pflichtverteidigung ? Doch nicht bei einem Jahr sechs Monaten“ (eigentlich vorgeschrieben ab einem Jahr)
- Komplettes Aussageverweigerungsrecht ? Der Zeuge soll erstmal vollständig aussagen, dann entscheide ich, ob er ein Zeugnisverweigerungsrecht hat. Dann brüllen Verteidiger und Richter solange gegeneinander an, bis auch der aussagewilligste Zeuge darüber nachdenkt, besser die Klappe zu halten.
- Ein Richter soll sogar einen Bienenzüchter, der seine Bienen auf dem Grundstück des Richters untergebracht hat, zur Anzeige gegen einen unliebsamen Angeklagten aufgefordert haben. Ließ sich leider nicht gerichtssicher nachweisen.
Das schöne an dem Richtertyp des „zweiten Staatsanwalts“ ist jedenfalls, dass das tatsächliche Wollen und das rechtliche Können völlig auseinanderlaufen. Wie eine Schere. Je mehr Willkür, desto anfechtbarer das Urteil.
Einer meiner Lieblingsmandanten ist z.B. von einem Richter der vorgenannten Art vier Mal in Folge wegen Betruges völlig überzogen zu Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt worden. Naja, gibt’s ja die Berufung für.
Beim ersten Mal wurde die Strafe von 6 Monaten ohne Bewährung auf 3 Monate mit Bewährung reduziert Der Berufungsrichter fand die Strafe ohne Bewährung völlig überzogen.
Beim zweiten Mal wurde die zweite Strafe von erneut 6 Monaten ohne Bewährung aufgehoben, und das gleichgelagerte Verfahren eingestellt. Der Berufungsrichter fand die Strafe überflüssig, da bereits eine inhaltsgleiche Verurteilung vorlag.
Beim dritten Mal kam nach der ursprünglichen Verurteilung von diesmal 8 Monaten ohne Bewährung dann gleich ein Freispruch. Der Berufungsrichter war ein wenig ungehalten, sowohl über die Verurteilung an sich, als auch über die Ablehnungsbegründung des Befangenheitsrichters, der einen von mir ausgebrachten Befangenheitsantrag mit fadenscheiniger Begründung abgelehnt hatte.
Beim vierten Mal gab’s dann gleich zwei Jahre ohne Bewährung; das Landgericht hat die Strafe in der Berufung aber zumindest zur Bewährung ausgesetzt. War knapp, und tatsächlich bin ich dem Berufungsrichter persönlich dankbar, dass meine Erfolgsserie nicht gerissen ist. Die Möglichkeiten der Verteidigung sind nach drei abgewehrten Haftstrafen dann irgendwann auch mal erschöpft, und ich koche letztendlich auch nur mit Wasser.
Es mag aber auch kontraproduktiv vom Amtsrichter gewesen sein, ins Urteil zu schreiben, dass das Landgericht beim Freispruch zuvor alles falsch gemacht habe. Gefühlt hat dieser Umstand den letzten Ausschlag gegeben für die Bewährung.
Ende gut, alles gut, könnte man vermuten. Aber raten Sie mal, welcher Richter die Bewährungsaufsicht hat. Genau. Da kommt noch was.
Warum freuen sich Anwälte ?
Man könnte meinen, dass Anwälte nicht glücklich sind mit dem Richtertyp des zweiten Staatsanwalts, aber tatsächlich ist der Staatsanwalts-Richter das Beste, was einem engagierten Strafverteidiger passieren kann (Sorry für die Mandanten):
- Man wird immer für mindestens zwei Instanzen bezahlt.
- Der Anwalt sieht immer gut aus in diesen Verfahren, weil die zweite Instanz die Urteile des Staatsanwaltsrichters fast immer entweder komplett aufhebt, oder zumindest ganz erheblich abmildert.
Tatsächlich habe ich mir angewöhnt, bei Staatsanwalts-Richtern den Mandanten pauschale Gebührenvereinbarungen anzubieten, dann wird es zumindest etwas billiger.
Positive Eigenschaften von Staatsanwalts-Richtern
Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass dieser Richtertyp grundsätzlich auch faire Züge im Rahmen seiner Möglichkeiten aufweist: Schadenswiedergutmachung wird mit einem Strafabschlag belohnt, geständige Einlassungen auch, und wenn jemand mal wirklich wirklich nachweislich unschuldig ist, wird auch ohne wenn und aber freigesprochen (noch lieber aber Einstellung nach §154 StPO, dann kriegt der Anwalt trotz Unschuld des Mandanten keine Zahlung aus der Staatskasse).
In diesem Sinne: Auch bei Richtern des Typs „zweiter Staatsanwalt“ macht eine aktive, engagierte Verteidigung Sinn. Selbst dann, wenn sie nur der Vorbereitung für die nächste Instanz dient.
Achso: Es schadet auch nicht, ab und an mal einen Befangenheitsantrag einfließen zu lassen, damit der Richter nicht anfängt zu denken, sein Verhalten wäre normal.