Sexualstrafrecht – Ein Kuss ist keine Beleidigung
Wenn Staatsanwälte sich mal festgebissen haben, lassen die so schnell nicht wieder los… Das ist ja traurigerweise schon der Normalfall…
Der Richter sollte dann eigentlich das Korrektiv darstellen… Betonung auf „sollte“… Im vorliegenden Fall also anscheinend nicht…
Was war passiert:
Der Mandant schleppt eine betrunkene Dame aus der Disco in seine nahegelegene Wohnung ab. Man ist eigentlich in Partylaune.
In der Wohnung nimmt die Alkoholresorption, ggf. mit einer Anflutungswirkung, bei der Dame dermaßen schnell zu, dass die Dame nicht mehr sonderlich viel mitkriegt, sondern nur noch vor sich hinstarrt…
Was passierte dann ? Der Anklagte versucht, die Dame zu küssen. Beim Versuch bleibt es, denn die Dame erbricht dermaßen heftig auf den Fußboden, dass später chemische Reinigungsmittel angewendet werden müssen…
Staatsanwalt (sinngemäß): „Sauerei, wer Betrunkene abschleppt, gehört bestraft!“
Tja, aber weswegen denn eigentlich ?
Angeklagt ist „versuchter sexueller Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen“, zur Tatzeit noch geregelt unter §179 StGB (und nunmehr von §177 StGB erfasst)…
Argument der Staatsanwaltschaft: „Wer Betrunkene abschleppt und küsst, der vollzieht auch den Beischlaf… Beischlaf hat nicht stattgefunden, deshalb Versuch…“
Richter nickt zustimmend…
Zum Glück kommen die Herren wenigstens nicht auf die Idee, dass es dann ja ggf. eine versuchte Vergewaltung war. Das hätte noch gefehlt.
Wie geht es weiter ?
Als Verteidiger muss man dann versuchen, zumindest den Richter auf den Boden der Rechtsrealität zurückzuholen… Beim Staatsanwalt ist meist sowieso Hopfen und Malz verloren…
- Einen allgemeinen Erfahrungssatz, dass jemand, der küsst, auch weiter geht, gibt des nach Kenntnis der Verteidigung nicht.
- Wenn es denn ein Versuch eines Beischlafs wäre (unmittelbares Ansetzen wäre hier erforderlich), dann hat der Angeklagte nach dem Erbrechen ja seinen Tatplan freiwillig aufgegeben und nicht mehr weiterverfolgt, was einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch (§24 StGB) darstellt.
Damit hätten wir den Beischlafschwachsinn der Staatsanwaltschaft schonmal erledigt…
Verbleibt der (versuchte) Kuss.
- Ein Kuss ist zwar eine sexuelle Handlung, aber nicht im strafrechtlichen Sinne.
- Nach §184h Nr.1 StGB sind sexuelle Handlungen nur solche, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind. Anerkannterweise trifft dies nicht auf Küsse zu.
Verurteilung kann der Staatsanwalt knicken, dachte ich…
Im Plädoyer nochmal darauf hingewiesen, dass ja nicht alles, was moralisch anstößig erscheint, auch strafbar ist, weshalb der Mandant eindeutig freizusprechen sei.
Bei der Urteilsverkündung dann die Überraschung: Der Richter verurteilt wegen Beleidigung.
Der versuchte Kuss sei eine Beleidigung gewesen, weil die betrunkene Dame damit vom Angeklagten zum bloßen Objekt degradiert worden sei.
Wie kommt man auf solchen Schwachsinn ?
Habe ich dann zurück im Büro gemerkt: Der hat wohl einfach mal gegoogelt, weshalb man dann noch so verurteilen könnte.
Da muss er dann bei der Beleidigung gelandet sein…
Wie ging es weiter ?
Selbstverständlich gleich Rechtsmittel eingelegt. In der Berufungsverhandlung habe ich argumentiert, dass ein Kuss ja absolut keine Herabwürdigung einer Person sein kann, sondern Ausdruck höchster Attraktivität ist. Der Angeklagte wollte die Dame schließlich nicht beleidigen, der wollte Beischlaf…
Der Richter fand die Argumentation des Amtsgerichts dann auch etwas abwegig und hat das Urteil gleich aufgehoben…
In diesem Sinne:
Nicht alles, was moralisch „verwerflich“ erscheint, ist auch eine Straftat…