Skip to main content

Aus der Sicht und mit den Worten von ...
Kim Müller, Fachanwalt für Strafrecht


Kleine Einblicke, was sich manchmal alles hinter den Kulissen so abspielt.

Statement zum NWZ-Artikel des Oldenburger Anwaltsvereins/Maike Chandra vom 26.06.2024

Skurille Situation: Ich werde während meines Familienurlaubs im Allgäu morgens um 09:30 Uhr von meiner Sekretärin angerufen, die mitteilt, dass bei uns gerade drei Anwälte und ein Mandant angerufen und Ihre Solidarität mit Herrn Müller bekundet hätten… Bis zum Nachmittag waren es noch mehr, auch per EMail und Whatsapp… Ursache war anscheinend ein schlecht gemachter NWZ-Artikel des Oldenburger Anwaltsvereins.

Daher sage ich auf diesem Wege erstmal herzlichen Dank für Ihre/Eure Unterstützung, und stelle als Kommentar diesen Artikel online.

Was war passiert:

Ich hatte vor kurzem ein NWZ-Interview gegeben, mit dem Thema „Fahrradfahren unter Cannabiseinwirkung“. Folgende (zugegebenermaßen polizeikritische) Äußerung habe ich gemacht:

„Ohne Ausfallerscheinungen drohe dem Radfahrer jedoch gar nichts, sagt Müller. „Polizisten werden aber immer Ausfallerscheinungen wahrnehmen, unabhängig davon, ob diese tatsächlich vorliegen. Zur Not hat der Beschuldigte halt leicht geschwankt“, sagt er. Es sei fast unmöglich, das Gegenteil nachzuweisen, da Polizisten von der Rechtsprechung über alle Maßen geschützt würden.“

Auf die Nachfrage der Zeitung habe ich meine Aussage wie folgt konkretisiert:

„Das ist eine erfahrungsbasierte Kritik an der Polizei. Ich mache den Job seit 18 Jahren und kann mich an keine Situation erinnern, bei denen die Polizei zwar eine hohe Alkoholisierung, aber keine Ausfallerscheinungen festgestellt hat.“

Quelle: NWZ-Interview vom 12.06.2024 (Link)

Hierauf das Statement des Oldenburger Anwaltvereins:

Hierauf die Reaktion des Oldenburger Anwaltsvereins (wohl höchstens: des Vorstands) in dem NWZ-Artikel vom 26.06.2024 (Onlineversion: 24.06.2024):

Mit Entsetzen [!!!] hat der Vorstand des Oldenburger Anwalts- und Notarsvereins […] die Aussagen eines Kollegen zu den Grenzwerten von Cannabiskonsum gelesen. […] Diese und weitere Aussagen könnten so nicht unwidersprochen bleiben, sagt Maike Chandra, Vorsitzende des Oldenburger Anwalts- und Notarvereins.“

Meine o.g. Aussage sei eine „unerträgliche wie falsche, ja geradezu unverschämte [!!!] Behauptung, von der sich der Vorstand des Oldenburger Anwalts- und Notarverein [sic!] mit allem Nachdruck distanziert.“ „Schließlich beinhalte der Satz die Behauptung, dass Polizisten den Tatsachen zuwider aussagen, also lügen, Sachverhalte wahrheitswidrig erfinden und all dies von den Gerichten nicht nur akzeptiert, sondern auch noch geschützt wird.“

Unter der Überschrift „Möglicherweise strafrechtlich relevant“ heisst es dann weiter: Der Verein, der 660 Mitglieder zählt, trete diesen Aussagen entschieden entgegen.“

Und jetzt kommt meine Lieblings-Passage:

„Die Aussagen, so die Einschätzung des Vereins und der Vorsitzenden Chandra, könnten sogar den Tatbestand der (Beamten-)Beleidigung und der Verleumdung erfüllen. Bei einem Strafrechtler dürfe man erwarten, dass er über die Tatbestandsmerkmale unterrichtet sei, und daher wisse, dass seine Behauptungen falsch sind.“

Quelle: NWZ-Artikel vom 24.06.2024 (Link)

Mein Statement zu diesem schwachsinnigen Artikel

1.) Meine Aussagen sind erfahrungs- und erlebnisbasiert.

Sehr geehrte Frau Vorsitzende: Herzlich willkommen in der Rechtsrealität. Mit ein bisschen Recherche in meinem Anwaltsprogramm kann ich Ihnen mindestens 100 ehemalige Mandanten als Zeugen für die Tatsache benennen, dass die Zeugenaussagen von Polizisten sich nicht mit den erlebten Sachverhalten der Mandanten in Einklang haben bringen lassen.
Und sicherlich lassen sich aus dem Stand mindestens 10 erfahrene Strafverteidiger benennen, die meine Erfahrungen teilen.

Die Vorsitzende des Oldenburger Anwalts- und Notarvereins ist Fachanwältin für Familienrecht und Verwaltungsrecht. Ich gehe mal davon aus, dass ich in einem Monat mehr Strafrechtsfälle erfolgreich bearbeite als die Vorsitzende in ihrem ganzen Berufsleben.
Darüber hinaus ist im ganzen Vorstand des Oldenburger Anwalts- und Notarvereins nach meiner Kenntnis kein einziger Strafverteidiger vertreten.

Dass Polizisten von der Justiz besonders geschützt sind, ist ja nun keine Geheimwissenschaft. Polizisten wird vom Gericht eine erhöhte Glaubwürdigkeit zugesprochen, weil diese ja keinen Grund haben, zu lügen. Es gilt der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung.

Darüber hinaus ist der Schutz von Polizisten in den Dienstanweisungen der Staatsanwaltschaft verbrieft (der Vorstand des Oldenburger Anwalts- und Notarvereins wird sie nicht kennen ), nämlich die Anweisung, dass Delikte gegen u.a. Polizeibeamte nicht einzustellen sind, und seien es noch so kleine Delikte.
Ich bin wahrscheinlich einer der wenigen Oldenburger Strafverteidiger, der hin und wieder eine Einstellung bei Delikten gegen Polizisten in Einzelfällen hinbekommt, und wenn, dann sind die meist auch teuer erkauft (z.B. AG Papenburg vor 2 Wochen, Einstellung gegen 2.400 EUR Geldauflage bei einem Krankengeldbezieher).

Der Schutz der Polizei ist im Übrigen auch keine Einbahnstraße: Wenn ein Polizist eine ernste Verfehlung begeht, kehrt sich der Schutz ins Gegenteil: Wer den besonderen Schutz der Rechtsordnung genießt, an den werden auch besondere Anforderungen gestellt. Wer hiergegen verstößt, muss mit einem deutlich erhöhten Strafmaß rechnen.

Ich habe im Übrigen auch nicht die Behauptung aufgestellt, dass Polizisten grundsätzlich die Unwahrheit sagen, sondern ich habe nur von Erfahrungen aus einem Kleinstausschnitt der polizeilichen Tätigkeit berichtet, nämlich von Ausfallerscheinungen bei relativer Fahruntüchtigkeit im Rahmen von Straßenverkehrsdelikten.

2.) Zur strafrechtlichen Beurteilung meines Verhaltens durch „den Verein“ und die Vorsitzende Chandra

Ein Anrufer (Fachgebiet Arbeitsrecht) hatte sich auf den Artikel extra gemeldet und mitgeteilt, er sei Vereinsmitglied, wolle aber eben kurz mitteilen, dass er zum einen vom Verein nicht nach seiner rechtlichen Einschätzung gefragt worden sei, und er die rechtliche Einschätzung auch nicht teile.

Er halte es vielmehr für wahrscheinlich, dass die Vorsitzende Maike Chandra durch Mißbrauch Ihrer Stellung im Verein als Fachanwältin für Verwaltungsrecht gerade Klientelpolitik betreibe, nämlich sich der Polizei anbiedere.

Zumindest in einem Punkt hat der Kollege Recht: Die rechtliche Einschätzung des „Vereins“ und der Vorsitzenden strotz nur so vor strafrechtlicher Unkenntnis:

a.) Den Tatbestand der Beamtenbeleidigung gibt es im deutschen Strafrecht nicht. Beamte sind, wie alle anderen Personen auch, mit Ausnahme von besonderen Politikern, über §185 StGB geschützt.

b.) Personenmehrheiten sind nur beleidigungsfähig, wenn sie zu einer einheitlichen Willensbildung in der Lage sind. „Die Polizei“ kann keinen einheitlichen Willen bilden. Insofern kann ich „die Polizei“ nicht beleidigt haben.

c.) Sie dürfen gerne davon ausgehen, dass Strafverteidiger sich der Grenzen des Erlaubten sehr wohl bewusst sind, und dass wir uns auch in diesen Grenzen bewegen. Insofern kommt es im Übrigen auch nur darauf an, dass unsere Behauptungen rechtlich zulässig sind, und nicht, ob sie falsch sind.

d.) Ganz ehrlich: Wir sind Volljuristen. Wenn – wie hier – die Tatsachen feststehen, dann wissen wir, ob ein Sachverhalt eine Beleidigung darstellt oder nicht, und müssen nicht erst darüber nachdenken, ob die Aussage „möglicherweise strafrechtlich relevant“ ist. Und wenn wir das nicht wissen, dann sind wir ggf. besser beraten, wenn wir uns nicht öffentlich äußern. Das gilt auch für Maike Chandra und für den Anwaltsverein, sofern man dem die Unwissenheit seiner Vorsitzenden überhaupt zur Last legen kann.

In diesem Sinne: Frau Chandra hat nun ihre mediale Aufmerksamkeit gehabt, ihre strafrechtliche Unkenntnis präsentiert, und ich gehe jetzt mit meinem Sohn Fußball spielen.

Comments (5)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.